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Rush-Hour des Lebens: Begriffsherkunft, Bedeutung und aktuelle Relevanz

Autorin: Dr. Leonie Kleinschrot

Im Verkehrswesen bezeichnet die „Rush-Hour“ die Zeit mit besonders hohem Verkehrsaufkommen, wenn viele Menschen gleichzeitig zur Arbeit oder nach Hause hetzen. Der Begriff wurde in den letzten Jahren auf den Kontext individueller Lebensgestaltung übertragen, um Phasen erhöhter Belastung zu beschreiben, in denen viele Anforderungen zeitgleich auftreten. Der Begriff „Rush-Hour des Lebens“ wurde durch den 7. Familienbericht im Jahr 2005 und insbesondere den Kommissionsvorsitzenden Bertram etabliert. Damit gemeint ist die Phase im Erwachsenenalter – etwa zwischen Mitte 20 und 40 –, in der sich zentrale Lebensereignisse auf engem zeitlichem Raum verdichten. Im 7. Familienbericht heißt es, dass

„in dieser kurzen Altersphase […] Entscheidungen getroffen und realisiert werden müssen, die mehr oder minder das ganze Leben bestimmen. Neben dem Ausbildungsabschluss, dem Eintritt in das Berufsleben und der Entscheidung für einen Lebenspartner scheint in Deutschland das dominante Muster auch zu sein, in dieser Phase zu heiraten und wenn, sich dann für Kinder zu entscheiden“. [1]

Daher führten die Soziolog*innen Bujard & Panova etwa zehn Jahre nach dem Familienbericht hierfür den genaueren Begriff „Rush-Hour von Lebensentscheidungen“ ein. [2] Die Verdichtung im Lebenslauf entstand durch mehrere gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen der letzten Dekaden: Ausbildungsdauern verlängerten sich, die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat enorm zugenommen, die finanzielle Eigenständigkeit sowie der Karrierebeginn verschoben sich im Leben nach hinten, und auch der Übergang zur Elternschaft findet später statt. [1,2]

Mit der „Rush-Hour von Lebensentscheidungen“ – die vor allem Akademiker*innen betrifft und entlang des individuellen Alters entsteht – einher geht die von Bujard & Panova erstmals explizit so bezeichnete „Rush-Hour im Familienzyklus“. [2] Diese betrifft nur Eltern und entfaltet sich entlang des Alters ihrer Kinder, weil sie durch die Verdichtung von bezahlter und unbezahlter Arbeit bedingt ist. Bereits Bertram verortete in seinen Ausführungen im 7. Familienbericht die Verschärfung der Rush-Hour im frühen Familienzyklus an. Dabei orientierte er sich an Analysen der Soziolog*innen Bittman & Wajcman aus dem Jahr 2000, die die Gesamt-Arbeitsbelastung von Frauen und Männern berechneten. Hierfür addierten sie die in Zeitverwendungsstudien dokumentierten, wöchentlichen Zeiten für bezahlte und unbezahlte Arbeit. [3] So konnten sie zeigen, dass beide Geschlechter den gleichen zeitlichen Umfang an Gesamtarbeit leisten.

Quelle: Bujard, Martin; Panova, Ralina (2016): Zwei Varianten der Rush-Hour des Lebens: Lebensentscheidungen bei Akademiker/innen und Zeitbelastung bei Familien mit kleinen Kindern. S.19.

Diese Addition von bezahlter und unbezahlter Arbeit wurde dann im 7. Familienbericht übernommen und auf den Familienzyklus umgelegt, d.h. es wurden die Gesamtarbeitszeiten von Frauen und Männern ohne Kinder sowie mit Kindern in verschiedenen Altersstufen abgetragen. Bujard & Panova haben dies anschließend anhand von Zeitverwendungsdaten von 2012/13 des Statistischen Bundesamtes repliziert. [4] Dabei zeigte sich die „Rush-Hour im Familienzyklus“ eindrücklich, denn beide Geschlechter leisten die meiste Gesamtarbeitszeit, wenn die Kinder noch klein und betreuungsintensiv sind. Und auch anhand der neuesten Zeitverwendungsdaten aus dem Jahr 2022 können wir die „Rush-Hour im Familienzyklus“ immer noch zeigen. In unseren Analysen stellen wir die wöchentliche Zeitverwendung von Frauen und Männern ab einem Alter von 21 Jahren entlang eines sogenannten synthetischen Lebensverlaufs dar. Hierfür werden Durchschnittswerte verschiedener Alters- und Personengruppen im Jahr 2022 so aneinandergereiht, dass sie einen typischen Lebensverlauf abbilden.

Zeitliche Gesamtbelastung in Stunden pro Woche, Quelle: Zeitverwendungserhebung 2022, Berechnungen von Kleinschrot & Bujard.

 

Zeitliche Gesamtbelastung in Stunden pro Woche, Quelle: Zeitverwendungserhebung 2022, Berechnungen von Kleinschrot & Bujard.

 

Die Gesamtarbeitsbelastung von Frauen und Männern – also die Summe aus den Zeiten für Erwerbs- und Sorgearbeit pro Woche – ist im synthetischen Lebensverlauf ähnlich hoch und steigt mit der Geburt von Kindern spürbar an. Besonders hoch ist sie, wenn das zweite Kind unter fünf Jahren alt ist – dann liegt sie bei rund 62 Stunden pro Woche und bleibt über Jahre hinweg auf hohem Niveau. Entscheidend ist also vor allem das Alter der Kinder, da es den Betreuungsaufwand bestimmt. Ohne Kinder im Haushalt liegt die Belastung deutlich niedriger, und im Rentenalter sinkt sie wieder stark. Trotz vergleichbarer Gesamtbelastung unterscheidet sich die Zusammensetzung der Arbeit bei Frauen und Männern erheblich: Bei Frauen dominiert nach der Familiengründung die Carearbeit, während Männer überwiegend durch Erwerbsarbeit belastet sind – auch wenn diese mit kleinen Kindern etwas abnimmt.

Sowohl die „Rush-Hour von Lebensentscheidungen“ als auch die „Rush-Hour im Familienzyklus“ sind mit hoher zeitlicher Verdichtung, Stress und Belastung verbunden. Sie können für viele Menschen einen Grund darstellen, sich gegen die Gründung einer Familie zu entscheiden. Trotz veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ist die „Rush-Hour im Familienzyklus“ bis heute deutlich erkennbar. Die bereits vor zwanzig Jahren im 7. Familienbericht formulierten Forderungen zur Entzerrung dieser Phase – etwa durch verlässliche Ganztagsbetreuung, Förderung haushaltnaher Dienstleistungen, mehr Partnerschaftlichkeit bei der Sorgearbeit, flexible Arbeitsarrangements und Ähnliches – sind daher nach wie vor aktuell. [1,2]

 

[1] Deutscher Bundestag (2006): Siebter Familienbericht. Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik. Berlin: Deutscher Bundestag (Drucksache 16/1360).

[2] Bujard, Martin; Panova, Ralina (2014): Rush-Hour des Lebens. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Familienpolitik. Online: http://www.bpb. de/politik/innenpolitik/familienpolitik/197927/Rush-Hour-des-lebens. [Letzter Zugriff: 25.07.2025]

[3] Bittman, Michael; Wajcman, Judy (2000): The Rush Hour: The Character of Leisure Time and Gender Equity. In: Social Forces 79 (1): 165–189.

[4] Bujard, Martin; Panova, Ralina (2016): Zwei Varianten der Rush-Hour des Lebens: Lebensentscheidungen bei Akademiker/innen und Zeitbelastung bei Familien mit kleinen Kindern. In: Bevölkerungsforschung Aktuell 2016(1): 11–20.

 

 

Dr. Leonie Kleinschrot ist Soziologin und am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung im Forschungsbereich Familie und Fertilität tätig. Sie forscht zu den Themen kulturelle Normen, Geschlechterrollen und Elternschaft sowie Geschlechterungleichheiten im privaten Bereich.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
GroßVäter-Blog (26. August 2025). Rush-Hour des Lebens: Begriffsherkunft, Bedeutung und aktuelle Relevanz. Who Cares? Abgerufen am 11. November 2025 von https://doi.org/10.58079/14ic1


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